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Kevin

Ohne Frauen

Ich bin mal wieder allein zuhause, die Frauen sind in Algerien und verbringen viel Zeit am Strand. Hier ist es hingegen kühl, regnerisch und seltsam still im Haus.

Wir machen das jedes Jahr und daher weiß ich schon, was passieren wird:

Erst bin ich ein paar Tage lang total euphorisch ob der neugewonnenen Freiheit. Ich höre laut Musik, bleibe bis in die Puppen wach, verliere komplett den Anschluß an einen herkömmlichen Lebensrythmus und benehme mich wie ein Student im 18. Semester.

Die zweite Phase beginnt, wenn ich zunehmend oft merke, wie leise es im Haus ist. Etwa zeitgleich läßt auch meine Motivation plötzlich zu wünschen übrig und ich ertappe mich dabei, gelangweilt aus dem Fenster zu sehen oder verbringe komplette Abende damit, das Internet leer zu lesen.

Nach ein paar Tagen raffe ich mich dann meist auf und orientiere mich langsam wieder am normalen Tagesablauf. Das ist mangels Motivation natürlich recht schwierig.

Man lernt dazu

Seit Jahren geht das so, und seit Jahren suche ich nach Wegen, die Phase 2 zu vermeiden. Alleine gelangweilt zuhause sitzen ist nicht unbedingt mein Traum, vor allem weil ich teilweise so schlimm gelangweilt bin, daß mir Internet und sogar Fernsehen vollkommen egal sind. Das darf nicht sein!

In den vergangenen Jahren habe ich es mit diversen Gegenmitteln probiert, z.B. kurzen Abstechern nach Deutschland oder Frankreich. Das ließ sich meist halbwegs mit Arbeit kombinieren, eine Win-Win Lösung. Damit kann man aber natürlich nicht die komplette Zeit überbrücken, die Frauen sind ja meist 3 - 4 Wochen weg!

Manchmal habe ich probiert, mir Projekte vorzunehmen, Dinge wie "die Website komplett umbauen" oder "Fotos neu einscannen" oder so. Die Idee war, die Projekte über die Wochen zu verteilen damit quasi nie Langeweile aufkommen kann.

Dummerweise hat das Problem mit der Motivation Auswirkungen auf Pläne dieser Art, insbesondere wenn die Pläne ambitioniert sind, wie z.B. das Redesign meiner Website, das seit etwa 6 Jahren ganz oben auf der Liste steht...

(In diesen 6 Jahren habe ich etwa 4 grundlegend unterschiedliche Ansätze für die Website in Angriff genommen aber keinen davon wirklich durchgezogen. Und das ist nur die technische Seite der Medaille (Ha! Olympiareferenz eingebaut!). Ich bin beim besten Willen kein Designer und es fällt mir schwer, eine ansprechende Site zu machen. Sieht man ja.)

Dieses Jahr habe ich es also mal mit einem etwas anderen Ansatz probiert.

Erstens habe ich mir den Wecker gestellt, auch am Wochenende, damit mein Rythmus sich nicht so kraß nach hinten verschiebt. Irgendwann teste ich vielleicht nochmal den 28-Stunden-Tag, aber dieses Jahr soll es geregelt zugehen.

Das funktioniert ganz gut und ich bin bisher höchstens bis 2 Uhr wach gewesen. Ich verbuche das mal als Erfolg.

Zweitens habe ich meine arbeitsbedingten Reisen so gleichmäßig wie möglich über die Zeit verteilt, damit ich nicht zu lange am Stück zuhause bin. Auch das scheint zu funktionieren: Ich freue mich wenn ich nach hause komme. Gut!

Drittens habe ich mir diesmal keine neuen Projekte ausgedacht, sondern mir vorgenommen, stattdessen alle alten entweder abzuschließen (lies: offiziell wegzuwerfen) oder zu vollenden.

(Das bedeutet unter anderem, daß Teile der Website tatsächlich fertig zu werden drohen. Der Ansatz vom letzten Jahr ist außerdem so flexibel, daß ich die Site nach und nach umbauen kann. Ein Teil der Site ist quasi fertig, und selbst wenn es dabei bleibt, ich also nur einen einzigen Teil umstellen kann, dann ist das erstens ein Erfolg und zweitens eine hervorragende Grundlage für die anderen Teile.)

Von diesem Beschluß sind besonders diese ganzen "endlich mal XYZ richtig machen" Ideen betroffen, die ich sonst immer habe. Endlich mal das Netwerk im Haus richtig aufsetzen. Die Backuplösung mal richtig konfigurieren. So Sachen.

Man sieht gleich: Solche Ideen sind unvereinbar mit der Erkenntniss, daß man eine funktionierende Lösung in Ruhe läßt, selbst wenn sie ein Provisorium sein sollte. Mittlerweile kann ich das sogar, eine Charakterentwicklung, die ich ganz klar dem UK in die Schuhe schiebe, denn hier wird nichts wirklich richtig gemacht.

Die vierte Idee war, diesmal während der Abwesenheit meiner Frauen ein paar Dinge im Haus zu tun, z.B. die eine Wand im Schlafzimmer neu zu streichen, weil Ania darauf ausprobiert hatte, wie gut man wohl mit verschiedenen Stiften auf Wand kritzeln kann.

Auch das funktioniert ganz ok. Ich habe letzten Samstag alle Türen im ersten Stock abgeschraubt und zu "Dip'n Strip" gebracht, einem kleinen Betrieb in Stockport, der Türen in Säure taucht und so von Farbe befreit. Unsere Türen wurden in den 70ern Opfer der "alles muß weiß!" Manie und sind jetzt leicht gelblich gewesen.

Ich gehe davon aus, daß ich vor meiner Abreise am 16. sogar noch den Rasen mähen werde!

Die grundlegende Erkenntnis hinter der ganzen Geschichte: Mir scheint ich bin in meine Rolle als Familienvater komplett reingewachsen. Der Trubel mit den drei Kindern ist Normalzustand geworden. Schön.

Olympia, weil muß ja

Sicher wärt Ihr alle verwundert, wenn ich Olympia nicht erwähnte, oder?

Zwei Dinge fallen mir dazu ein, den Rest finde ich eher weniger interessant: Erstens ist es in London nicht so voll und chaotisch wie alle vorher befürchtet hatten. Die Stadt hält sich wacker und erfüllt ihre Rolle als Gastgeberin mit viel gutem Willen und einem gewissen Stolz.

Zweitens ist Danny Boyle ein Nationalheld. Die Eröffnungszeremonie wird hier generell als Meisterwerk eingestuft. Das kann ich auch gut verstehen.

Abgesehen von den spektakulären Aspekten ("Ah, Bond", "uh... die QUEEN!", "sag' bloß das ist Tim Berners-Lee mit einem NeXT", "oh, Mr Bean") war die ganze Show einfach unglaublich wundervoll britisch, voller absurder Ideen und obskurer Anspielungen.

Danny Boyle hat eine ziemlich kompromißlose Show für seine Landsleute inszeniert, auch auf die Gefahr hin, daß weltweit viel davon gar nicht ankommt. Das rechnen ihm die Briten enorm hoch an. Und ich bin froh, daß ich schon länger hier lebe, denn auch ich hätte sonst viele Aspekte nicht würdigen können. So bin ich sehr froh, die Zeremonie gesehen zu haben.

Nur während des Einzugs der Athleten wäre ich fast eingeschlafen. Ich kann ja verstehen, wieso das gemacht wird, aber im Fernsehen ist es doch eher weniger interessant. Gut daß am Ende die Flamme wieder ziemlich spektakulär war.

Die Stimmung hier ist jedenfalls generell gut. Das liegt zum einen an den vielen Medaillen, die Team GB abstauben kann, zum anderen daran, daß so ein Großereignis einfach ein willkommener Anlaß ist, mal wieder so richtig zu feiern. Das war ja bei der Fußball EM in Deutschland nicht anders, nehme ich mal an.

Nur eins müßt Ihr mir erklären: Habt Ihr diesmal keine Lust, auch mal eine Medaille zu gewinnen, oder was ist da los? krchkrchkrch...

Bye now,
Jan

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