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Hamlet is not a Loser

Hi Allesamt!

Lange Diskussion auf dem Weg vom Pub zum Hotel mit einem Kollegen über Motivation und den Sinn des Lebens. Sarosh kommt aus Pakistan und hat kulturell bedingt eine erfrischend andere Sichtweise als ich mit meinem westlichen Hintergrund.

Uneinig sind wir uns hauptsächlich bezüglich der Frage, ob "gut sein" im Leben irgendwie belohnt wird. Ich bin pessimistisch, er verläßt sich auf seine Überzeugung: Es gibt ein Wesen irgendwo da draußen und dieses Wesen hat a) den Überblick, b) die gleichen Werte wie er und c) die Macht und den Willen uns irgendwie zu entlohnen, wann und wie auch immer.

Wir im Westen glauben ja an Erfolg und Verdienst, besonders wo jetzt die FDP wieder voll da zu sein scheint. Leistung muß sich wieder lohnen.

Dabei ist Meritokratie voll der Schwachsinn.

Erstens sind wir Menschen und es wird nie gerechte Meritokratien geben, ebenso wie es nie perfekten Kapitalismus oder Kommunismus geben kann. Das merkt man am ehesten im Berufsalltag: Hand hoch wer nicht mindestens einen Kollegen hat, der "zu Unrecht" besser dasteht. Egal ob das mehr Geld bedeutet oder was sonst.

Und weil es keine perfekte Meritokratie gibt in der Firma, habe ich die Wahl: Ich kann meine (unverdient) unterbewertete Position akzeptieren, oder ich kann mir die Regeln aneignen und mich nach oben boxen. Beides ist irgendwie doof.

Sarosh hat es da besser mit seiner Sicht, oder?

Ego

Zweitens ist selbst teilweise Meritokratie Gift für's Ego.

Ein gesundes Ego ist wichtig. Ist ja allgemein anerkannt: wer mit sich selbst im Reinen ist, hat ein besseres Leben. Wer seinen Platz im Leben gefunden hat, für den ist alles einfach und harmonisch. Und so weiter.

Das Problem in einer Meritokratie ist, daß es schwierig ist, seinen Platz zu erkennen. Wenn einem alle Möglichkeiten offenstehen, dann ist es nur natürlich, der idealen Situation nachzujagen. Wie soll man eine Situation akzeptieren, wenn man potentiell eine bessere haben könnte?

Wenn ich nicht Bundespräsident oder Millionär bin, ist das meine eigene Schuld, ich muß mich also schlecht fühlen. Dumm nur, daß nur etwa 1/88millionstel aller Deutschen Bundespräsident sein können und nur etwa 1% Millionäre. Da müssen sich also automatisch 99% aller Deutschen wie Versager vorkommen. Das kann's ja wohl nicht sein.

Das paßt auch gut zu den hohen Scheidungsraten in Europa. Weil man ja durchaus eine bessere, schönere, reichere oder aufregendere Frau haben könnte. Und weil es schwieriger ist, mit einer Person zufrieden zu sein wenn man nichtmal mit sich selbst zufrieden ist.

Und kommt mir jetzt nicht mit "Prioritäten setzen" oder "wissen was man erreichen will im Leben" oder ähnlichem Schickschnack. Der einzig gute Tip zum Thema kommt mal wieder von Alain de Botton: Wir sollten von einer alten Kunst lernen - der Tragödie. Zitat: It would be insane to call Hamlet a loser.

Über Hinweise, wie ich das im Alltag umsetzen könnte, würde ich mich freuen. Und wer mir auf diese Weise hilft, wird vielleicht sogar von einem höheren Wesen bemerkt und irgendwann belohnt! Eine klare win-win-situation!

Ciaole,
Jan

P.S.: Nebenbei kann ich mal schnell eine Lernerfahrung weitergeben, nett wie ich bin: wenn mit dem Niederschreiben und Nachdenken von und über tiefen und potentiell unbefriedigenden Diskussionen beschäftigt, soll man nicht Radiohead hören. Das hilft nicht weiter.

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