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11 Wochen

11 Wochen

"Kürzer aber dafür öfter" hatte ich versprochen. Kürzer habe ich auch gehalten, aber mit dem öfter habe ich ein wenig geschlampt. Nun ist es aber wieder soweit: Ein neuer Bericht.

Morgen Abend wird Lilia Helene 11 Wochen alt sein, dieses Wochenende ist also das elfte mit Kind. Mir kommt das irgendwie so vor, als wäre sie schon bedeutend länger auf der Welt, die elf Wochenenden müssen also rekapituliert werden.

1. Wochenende - Panik und Geschrei

Ich kann mich an Panik und Geschrei erinnern, sonst eigentlich an nichts. Wir wußten irgendwie noch nicht so recht, wie man mit so einem Baby umgehen soll, und dann war sie ja auch noch so winzig! Windeln wechseln war unproblematisch, aber füttern tat weh und an die Geschichte mit dem Schlaf muß man sich ja auch erstmal gewöhnen.

Zum Glück habe ich ja 10 Werktage frei...

2. Wochenende - Hilfe ist nah!

Meine Mutter erscheint am Freitag, wahrscheinlich hat sie der Himmel geschickt. Zumindest kommt sie am Flughafen an, also doch irgendwie von oben.

Wir haben auf einmal Zeit, alles wird einfacher.

3. Wochenende - Muß wieder zur Arbeit

Mein letztes Wochenende im Vaterschaftsurlaub. Ich fühle mich hin- und hergerissen. Einerseits will ich weder Souad alleine, noch meine Tochter aus den Augen lassen, andererseits kann ich mich bei der Arbeit vielleicht ein wenig ausruhen.

4. Wochenende - Familie

Mein Vater stößt zu uns und kocht.

Mittlerweile sind wir schon ein wenig routinierter, aber angesichts der nahenden Abreise meiner Eltern auch ein wenig nervös...

5. Wochenende - Park

Wir treffen uns mit Kollege Salim und seiner Familie. Salim und seine Frau Nadia sind aus Algerien und haben einen zwei Jahre alten Sohn, die perfekten Begleiter also für Familienausflüge. Wir fahren zum Tatton Park und wandern ein wenig herum, bis uns allen zu kalt wird.

Lilia quengelt ihren Vater an. Der quengelt zurück. Klassischer Fall von festgefahrene Situation...

6. Wochenende - Nichts

Weder Souad noch ich können uns daran erinnern, was wir an diesem Wochenende gemacht haben. Das bedeutet wahrscheinlich, daß wir nichts gemacht haben. Gefaulenzt. Das haben wir auch verdient.

7. Wochenende - Katastrophen

Arnd, Carine, Noah und Alann sind zu Besuch. Am Mittwoch kommen sie an, allerdings ohne Maxi Cosi (Babysitz für's Auto), den hat die Fluggesellschaft verloren. Wir machen dies und jenes, aber wir freuen uns natürlich darauf, am Wochenende einen Ausflug zu machen.

Dummerweise wird Lilia krank und muß am Samstag zunächst zweimal zum Arzt und dann direkt in's Krankenhaus, wo sie (inkl. Mutter) bis zum Dienstag "unter Beobachtung" steht, weil niemand weiß, ob sie nur einen Virus hat oder vielleicht Hirnhautentzündung, und weil das Labor ein paar Tage braucht, um die Kulturen zu züchten, die diese Frage beantworten.

Arnd & Carine sind also Samstag und Sonntag mehr oder weniger alleine bei uns, sicher nicht das, was sie erwartet hatten. Außerdem verlieren sie ihre Ixus.

Zum Glück hat Lilia nur einen Rotavirus - relativ häufig bei Kindern - und das bringt uns direkt zum nächsten Wochenende:

8. Wochenende - Krank

Wir erfahren, daß Arnd & Carine bei ihrer Rückkehr eine der Ziegen tot vorgefunden haben. Außerdem habe ich am Freitag 39° Fieber. Samstag und Sonntag verbinge ich im Bett oder auf dem Klo. Super! Mal wieder am Wochenende krank... aber diesmal kommt es anders. Ich habe anscheinend den Rotavirus von Lilia geerbt. Normalerweise hat der bei Erwachsenen keine oder nur minimale Auswirkungen, eben weil man ihn als Kind schon "verdaut" hat.

Mich hingegen streckt er volle 5 Tage nieder, und ich bin von Montag bis Donnerstag krankgeschrieben. Sowas ist mir in meiner professionellen Laufbahn noch nie passiert! Muß wohl was mit der Erschöpfung zu tun haben. Zum Glück bin ich rechtzeitig zum nächsten Wochenende wieder voll da.

Kann ein Baby schon böse gucken? Oder sieht das nur so aus?

9. Wochenende - Japan

Da wir alle drei wieder gut in Schuß sind, beschließen wir, uns auf ein kleines Wagnis einzulassen. Souad hat seit fast 10 Monaten kein Sushi gegessen und ist absolut wild danach, also reservieren wir in einem schicken japanischen Restaurant in Wilmslow für uns und Kollegen Salim mit Familie einen Tisch. Wir fragen vorsichtshalber, ob Restaurant und Gäste ein Problem damit hätten, daß wir ein 9 Wochen altes Kind mitbringen, aber das Restaurant meint, das wäre ok.

Während eines Großteils des (verdammt guten) Essens schläft Lilia in ihrem Schal auf meinem Bauch. Ich muß nur ein-, zweimal ein wenig umherlaufen. Nur gegen Ende des Essens hat sie wohl keine Lust mehr und macht sich daran, alle Gäste zu vergraulen, weswegen wir den Laden fluchtartig verlassen.

10. Wochenende - Besuch

Ein alter Kollege von Souad kommt zu Besuch. Vollkommen unproblematisch, wir werden langsam wirklich routiniert.

Wir verbringen einen kompletten Tag in Manchester, inklusive Museum und Chinarestaurant. Das Chinarestaurant hatten sowohl wir (noch in kinderlosen Zeiten) als auch Arnd und Carine schon ausprobiert. Es ist voller Chinesen, hat gutes Essen und es ist laut: Perfekt für Familien!

11. Wochenende - Ruhig

Das elfte Wochenende gehen wir sehr ruhig an. Samstag wacht Lilia zwar um 7:30 auf, aber wir können sie dazu bewegen, sich das nochmal zu überlegen, und am Ende ist es 12, bevor wir aufstehen, und knapp 3, bevor wir das Haus verlassen um ein paar Einkäufe zu machen.

Ich habe sogar am Sonntag Zeit, einen neuen Bericht zu schreiben, während meine Tochter - wie üblich - auf meinem Bauch schläft. Junge Eltern: Tragetücher sind klasse! Kann ich nur jedem empfehlen, besonders die von Lana, Storchenwiege oder Didymos. Nichts ist angenehmer, als sein Kind auf dem Bauch durch die Gegend zu tragen, und unkomplizierter als ein Kinderwagen ist es auch.

In Chinatown mit Baby auf dem Bauch

Die Zeit... die Zeit...

Ich sehe es schon vor mir: In 20 Jahren wird meine Tochter irgendwo in der Weltgeschichte sein und tun, was sie eben so tun wird. Souad und ich werden uns dann abends daran erinnern, wie lange es her ist, daß sie dieses oder jenes getan hat, oder wie wir uns beide nicht mehr daran erinnern können, wie unser Leben vor den Kindern war. Wir werden in Erinnerungen schwelgen und dabei wird uns auffallen, daß manche Dinge sehr fern erscheinen und andere ganz nah.

Ich jedenfalls komme mir jetzt schon so vor, als wäre ich immer schon Vater gewesen. Die Erkenntnis, daß dieses erst das elfte Wochenende mit Kind ist, hat mich am Freitag erwischt, keine Ahnung warum. Überrascht hat sie mich jedenfalls, die Erkenntnis, ziemlich sogar. Obwohl bei näherem Hinschauen gar kein Zweifel daran besteht und ich mich mit ein wenig Anstrengung auch an fast alle Details erinnern kann; ohne diese Anstrengung ist die Welt in meinem Gedächtnis einfacher: Kind ist da, Kind war immer da.

Fast immer wenn ich Leute aus meinen früheren Leben treffe, finden wir uns am Ende meist in einer Runde wieder, in der getrunken wird und in Erinnerungen geschwelgt. Manchmal kommt einem das so vor, als wäre das Leben früher interessanter gewesen, aber das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist, daß man seinem Gedächtnis helfen muß, damit es nicht vergißt. Der Punkt ist, daß unsere Vergangenheit Teil unseres Charakters ist. Solange wir sie nicht vergessen! Und daher freue ich mich auf die nächste Gelegenheit, selbst wenn wir dann die gleichen Geschichten wieder aufwärmen. Des g'hert so.

Adele,
Jan

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