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Shopping on a rainy Sunday

Hello Everyone!

Ganz wie am Anfang in Frankreich kann ich dank neuer Umgebung auch von hier aus mehr schreiben. Die Lehre daraus ist wohl, daß ich mein Leben lang alle fünf Jahre in ein anderes Land ziehen muß, wenn ich weiterhin regelmäßig berichten will... ich muß mal darüber nachdenken, ob das die Sache wert ist.

Anlaß dieses Berichtes ist das Trafford Centre. Das Trafford Centre ist ein Einkaufszentrum. Es ist groß, liegt an der Autobahn nur etwa 5 Meilen von hier entfernt, und es ist am Sonntag geöffnet.

(Centre schön mit 're' am Ende, nicht etwa mit 'er' wie bei den Analphabeten von der anderen Seite des Atlantiks. Tip an deutsche Stadtplaner und Werbemacher: Guckt euch die Anglizismen doch zur Abwechslung mal bei den Briten ab, vielleicht klingt das weniger bescheuert!)

Das Haus - Britischer Geschmack

Über Geschmack läßt sich ja bekanntlich streiten.

Am Samstag fahren wir um 8 in Egham ab, wo wir die letzten zwei Wochen verbracht hatten. Um 11:30 ('Half Eleven') sind wir bei unserer Agentur und nehmen die Schlüssel unseres Hauses in Empfang. Ich bin zunächst völlig überwältigt, daß das geklappt hat, die Freude hält jedoch nur relativ kurz an.

Am Haus angekommen stehen wir zunächst vor dem Problem Alarmanlage.

Jedes Haus in England hat eine Alarmanlage. Wenn man das Haus verläßt, muß man sie einschalten, und wenn man wieder nach Hause kommt, schaltet man sie aus. Das tut man natürlich im Haus. So kommt es, daß man nach dem Öffnen der Haustür nur eine relativ kurze Zeitspanne verstreichen lassen darf, bevor der Alarm laut lostönt. In dieser Zeit muß man die Kontrollbox finden und den Code eintippen.

Die Prozedur ist relativ einfach, wenn man sie kennt. Beim ersten Mal war ich aber relativ nervös, nicht zuletzt weil die Frau in der Agentur uns gewarnt hatte, man müsse sehr schnell sein und das Teil sei sehr, sehr laut.

(Übrigens: "England" ist natürlich grundfalsch, eigentlich meine ich "United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland", kurz "UK". Das werde ich von nun an auch so schreiben.)

Im Haus (das wir wie gesagt nur relativ oberflächlich betrachtet hatten) fanden wir uns auf einmal inmitten eines fürchterlichen Potpourris verschiedener Farben, Muster und Möbelchen. Wir hatten ganz eindeutig nicht aufgepaßt.

Souad nimmt mir das übel, war doch das Haus meine erste Wahl. Zudem nimmt sie mir übel, daß ich einen Tip meiner Chefin nicht rechtzeitig weitergegeben hatte: Immer um den Mietpreis handeln.

Unser wunderschöner Feuerplatz...

Wenn ich ehrlich sein soll, war mir dieser Tip sehr komisch vorgekommen, als sie ihn so nebenbei abgegeben hatte. An der Côte d'Azur kann man sich sowas nicht leisten, bzw. es wird nicht funktionieren, denn schließlich will jeder da wohnen. Nicht so in Manchester. Kann man nachvollziehen. Hier kann man es immer probieren, und mit 10% weniger Miete kann man durchaus rechnen.

Wir zahlen also zu viel, das Schlafzimmer ist orangefarben und rot, das Arbeitszimmer lila, das Badezimmer orange mit türkisem Heizkörper und Türrahmen, der Teppich im Wohnzimmer geschecktes Braun, das Kunstledersofa ocker, der Gaskamin bronzefarben mit bunten, leuchtenden Steinen und die Küche hellgelb mit blauen und gelben Kacheln. Kurz: Der Horror. Die Tapete im Wohnzimmer kann ich beim besten Willen nicht beschreiben, sie würde aber sehr gut zu Wallace & Gromit passen.

Dazu kommen diverse technische Spezialitäten. Im Badezimmer zum Beispiel ist ein Waschbecken mit zwei Wasserhähnen. Ich wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen, daß das scheiße ist: Aus dem linken Wasserhahn kommt nur heißes Wasser, aus dem rechten nur kaltes (und kaltes Wasser ist in Manchester wirklich kalt, will sagen: tut weh). Wie praktisch!

Meine Chefin hat mir heute erklärt, wieso das so ist: Würde man heißes und kaltes Wasser im Wasserhahn mischen wollen, müßte der Wasserhahn komplizierter gebaut sein, weil ja der Druck auf der Kaltwasserleitung nicht unbedingt der gleiche ist wie der auf der Heißwasserleitung. Das wäre teurer, also macht man's nicht. Willkommen im UK.

Ach ja, Trafford Centre

Kaum hatten wir den Schock überwunden, fiel uns auf, daß auch kein Geschirr im Haus existierte. An dieser Stelle gab es dann einen kleinen Kulturkonflikt: Während ich sofort "Mc Donald's" dachte, wollte Souad lieber zwei Teller, Besteck, einen Topf und zwei Tassen kaufen, damit wir in den zehn Tagen bis zur geplanten Ankunft unserer Habseligkeiten ordentlich würden essen können.

Wer uns kennt, weiß daß wir fünf Minuten später das Haus verließen und nicht zu Mc Donald's gingen. Dank kleinerer Probleme mit dem Scharfmachen der Alarmanlage waren wir so gegen 5 in einem großen Baumarkt und erstanden Teller, Besteck und Topf.

Auf dem Rückweg fiel uns ein, daß wir auch unser Bettzeug sinnigerweise dem Umzugsunternehmen mitgegeben hatten. Zum Glück hatte ich einen meiner Schlafsäcke im Auto, aber Bettzeug braucht ja man trotzdem. Woher also nehmen, an einem Samstag um 6? Mein italienischer Kollege Giuseppe hatte die rettende Idee: Das Trafford Centre. Das hat nämlich am Samstag von 8 bis 8 geöffnet. Und es liegt, wie gesagt, nur etwa 5 Meilen von uns entfernt direkt an der Autobahn.

(Meilen, ja. Ganz toll. Gerade habe ich mich daran gewöhnt, wie toll es ist, zuhause und im anderen Zuhause mit der gleichen Währung zu bezahlen, schon ziehe ich in ein Land, in dem der Euro unbekannt ist und auch bleiben wird. Schlimmer noch: Das metrische System ist hier nicht sehr verbreitet. Deswegen sind es nach Liverpool 30 Meilen, man darf in der Stadt 40 mph fahren, bis zur Autobahnausfahrt sind es noch 70 yards und meine Kragenweite ist 18 in. Im Pub kauft man ein pint (entgegen europäischer Bräuche immerhin etwa 568ml) und sein Körpergewicht mißt man in stones (1 stone sind 14 pounds (Wobei ein pound nicht etwa ein Pfund ist, sondern etwa 0,45kg)))

Tee, Crackers & Cheddar - und mittags ein Sandwich

Woran erkennt der Brite den Ausländer: Ganz simpel, der Ausländer trinkt keinen richtigen Tee! Ein richtiger Tee muß nämlich stark sein, und in einen richtigen Tee gehört Milch. Brrr... ich prophezeie hiermit, daß es lange dauern wird, bis ich ein echter Brite bin.

In den Supermärkten findet man oft Regale, über denen groß "organic" steht. Am Anfang fand ich das befremdlich. Für mich bedeutet "organic" organisch, und wenn etwas nicht organisch ist, dann ist es anorganisch oder schlicht künstlich. Bedeutet nun aber das Schild "organic" über dem kleinen Salatregal in der Ecke, daß alle anderen Salate künstlich sind? Und das Fleisch? Wie macht man künstliches Fleisch?

Natürlich bedeutet es das nicht. In Frankreich und Deutschland würde man "Bio" schreiben, wenn man "organic" meint. Allen gemeinsam ist, daß "organic" und "bio" natürlich teurer ist.

Apropos: Wer das UK besucht, braucht sich keine Gedanken über komplizierte Umrechnungskurse zu machen: 1:1 tut es in den meisten Fällen, z.B. beim Sprit (Abgefahren: Diesel ist teurer als Benzin), Essen, Bier, Telefon, Kino und Unterhaltungselektronik. Soweit ich das bisher sehen kann, sind die Preise für was auch immer man kauft ziemlich genau die gleichen wie in Südfrankreich, bloß eben in Pfund.

Mittags hat man übrigens genau eine Stunde Zeit für die Pause. Andere Firmen im UK geben nur 45 Minuten oder sogar nur 30. Die Zeit nutzt man für einen schnellen Ausflug zum nächsten Supermarkt, wo man Sandwiches kauft und vielleicht einen Salat. Danach geht's wieder zurück, und Sandwich und Salat werden schnell vor dem Rechner verspeist, während man seine Email liest.

Die Sandwiches sind selbstverständlich alle dreieckig und mit verschiedenen Belägen zu haben, zum Beispiel mit 'egg & ham' oder 'chicken & mustard'. Letzteres ist überraschend gut. Man kauft sie im Doppel- oder Dreierpack für günstige 1.10-2.00£.

Ganz allgemein empfiehlt sich im UK, nichts zu kaufen, was das Wörtchen 'mild' im Namen trägt, denn das bedeutet sinngemäß 'ohne Geschmack'. Wir sind darauf reingefallen, als wir den ersten Käse ausprobieren wollten und deswegen 'Cheddar - mild' kauften.

Käseregale sind eh cool hier: Ein Drittel wird 'continental cheese' gewidmet, das ist Käse wie wir ihn kennen (bloß teurer), die anderen zwei Drittel gehen an 'cheddar'. Ehrlich. Den gibt es in den verschiedensten Farben und Reifegraden, und jeweils in der irischen, englischen, schottischen und walisischen Variante sowie als 'cottage cheddar' für den doppelten Preis.

Nach langer Suche haben wir in einem der Regale dann noch einen Wensleydale gefunden, den man ja aus Wallace & Gromit kennt.

Der Geschmackstest war allerdings enttäuschend: Die schmecken alle gleich: Nach nichts. Und die Lehre daraus: Hände weg von 'mild'!

Sollte Euch übrigens mal der Tee kalt werden, macht's wie die Briten, steckt ihn eine Minute in die Mikrowelle.

Trafford Centre, jetzt aber!

Meine Kollegin Maria hatte mir schon vor einer Woche vom Trafford Centre erzählt. Es ist riesig. Es enthält hauptsächlich Geschäfte, zum Beispiel drei Kaufhäuser der Karstadt-Klasse und wahrscheinlich hunderte kleiner Läden, wie man sie in jeder gut sortierten Ladenpassage in Deutschland findet. Außerdem findet man im Trafford Centre Kinos (20 Säle), Restaurants (darunter einige gute), Bowling, Billard, Tischfußball und jede Menge Cafés.

Das Trafford Centre hat so viele Parkplätze, daß Niemand so genau weiß, wie viele es tatsächlich sind. Schilder an den verschiedenen Einfahrten verkünden zum Beispiel "full" oder "3528 free". Das erinnert mich spontan an Entfernungen im Sonnensystem oder die Ausmaße der Milchstraße, so große Zahlen sind ja für unser Gehirn nicht mehr vorstellbar. Ich gehe deswegen davon aus, daß diese Schilder gewisse Tendenzen auswerten und dann Zufallszahlen anzeigen.

Die Eingänge in's Centre haben Namen, damit man sie später wiederfindet, und auch einige der Bereiche innerhalb sind mit Namen versehen, z.B. gibt es einen Bereich, der "New Orleans" heißt, warum auch immer.

Wir kaufen kurz vor Ladenschluß unsere Bettwäsche und beschließen, am nächsten Tag wiederzukommen, ein paar Klamotten für mich zu kaufen.

Kalt, windig und wolkig - wie ein Fisch im Wasser

Ich bin erstaunt, wie schnell ich mich wieder an nördliches Wetter gewöhne. Vor ein paar Tagen habe ich aufgehört, ein T-Shirt unter dem Hemd zu tragen (ja, Hemd. Dresscode...), und am letzten Donnerstag habe ich tatsächlich meinen Pulli zuhause vergessen.

Aufgefallen ist mir das auch nur, weil ich mittags beim Supermarkt Geld abheben wollte, um mir Sandwich und Salat zu kaufen, und weil der Geldautomat leider außen am Supermarkt hängt und mittags eine kleine Schlange davor ansteht. Außerdem war da noch dieser ganz feine Nieselregen.

(Apropos Nieselregen: Das französische Wort dafür kenne ich nicht. Souad kennt es auch nicht, wie sollte sie auch... Ich muß also bei Gelegenheit mal einen Bretonen oder Normannen fragen. Falls mich das wirklich interessiert.)

So oder so: Ich habe nach nur drei Wochen bereits kein Problem mehr, kurzärmlig durch die Stadt zu laufen. Der Sommer wird großartig! Einer der Vorteile eines wechselhaften Himmels ist nämlich, daß man viel öfter spektakuläre Sonnenuntergänge bestaunen darf. Und es wird auch nicht so heiß wie da unten am Mittelmeer. Ha!

Ja, ich weiß: Klassische Trotzreaktion...

Shopping on a rainy Sunday

Am Sonntag sind wir um 3 wieder im Trafford Centre. Tiefhängende Wolken, der gelegentliche Schauer, leichter Wind und etwa 11°C, was soll man da anderes tun?

Es ist noch voller als am Vorabend, in etwa vergleichbar mit Carrefour an einem Samstag. Wir schauen uns ein wenig um und landen dann wieder im Kaufhaus von gestern. Ich verbringe eine Stunde damit, Hosen für 20£ anzuprobieren sowie Hemden für 10£. Danach kaufen wir dann noch Kopfkissen und zwei Decken, denn der Schlafsack war nicht warm genug.

Knapp drei Stunden später verlassen wir das Centre mit Kartons unterm Arm und Tüten in den Händen. Wir haben den ersten Schritt getan, wir werden Briten!

Bis bald,
Jan

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